Donnerstag, 31 Mai 2018 14:33

Marianne Buggenhagen: Sport im Herzen, voll im Leben

Marianne Buggenhagen: Sport im Herzen, voll im Leben Marianne Buggenhagen zeigt in ihrem Wohnzimmer eine ihrer neun Goldmedaillen. Diese stammt von den Paralympics 2000 aus Sydney (Australien). Über die Wettkämpfe dort schrieb sie eines ihrer vier Bücher. Seit 1999 ist Buggenhagen Ehrenbürgerin Ueckermündes

NORDKURIER – HAFF-ZEITUNG – DONNERSTAG, 31. MAI 2018

VOLLEYBALL

Marianne Buggenhagen, die „Grande Dame“ des Behindertensports, feierte dieser Tage ihren 65. Geburtstag. Die gebürtige Ueckermünderin und Ehrenbürgerin der Stadt blickt auf ihre Karriere zurück und hat einen besonderen Wunsch an die Zukunft.

Marianne Buggenhagen sitzt seit ihrem 23. Lebensjahr im Rollstuhl. Sie trainiert immer noch 10 Stunden die Woche.
Marianne Buggenhagen sitzt seit ihrem 23. Lebensjahr im Rollstuhl. Sie trainiert immer noch 10 Stunden die Woche.

Vorpommern. Sie ist in Ueckermünde geboren, hier aufgewachsen und Ehrenbürgerin der Stadt. Vor wenigen Tagen, vor ihrem 65. Geburtstag, war die „Grande Dame“ des Behindertensports allerdings auf großer Fahrt. „Ich gehe mit meinem Mann Jörg aufs Schiff“, hatte Marianne Buggenhagen gesagt. Ihre Kreuzfahrt führte nicht irgendwohin: Buggenhagen kehrte an den Ort zurück, an dem sie 1992 zum ersten Mal an den Paralympics teilnahm. „An meinem Geburtstag bin ich in Barcelona. Das ist besonders schön, an die Stadt habe ich tolle Erinnerungen“, sagte sie. Im Jahr 1992 war sie in der katalanischen Metropole richtig durchgestartet, gewann viermal Gold.
Weitere zehn Paralympics-Medaillen und zahlreiche Ehrungen später blickt Buggenhagen auf eine der erfolgreichsten Karrieren des deutschen Behindertensports zurück, die nach den Paralympics 2016 in Rio de Janeiro endete. Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbands (DBS): „Den Spitznamen ‚Grande Dame‘ kann ihr keiner nehmen. Sie ist ein Mut machendes Vorbild für viele Nachwuchssportlerinnen.“ Buggenhagen hat das Bundesverdienstkreuz und das Silberne Lorbeerblatt erhalten. Vom Verband der Deutschen Staatsbürgerinnen wurde sie zur Frau des Jahres erkoren, 1994 gewann sie eine ARD-Wahl zu Deutschlands Sportlerin des Jahres. Vor Franziska van Almsick und Steffi Graf. Der Sport ist für Buggenhagen jedoch viel mehr als Titel und Ehrungen. „Fast alles“ habe er ihr bedeutet. „Wenn ich den Sport nicht gehabt hätte, wäre ich im Pflegeheim gelandet oder asozial geworden“, schreibt sie in ihrer Autobiografie („Ich bin von Kopf bis Fuß auf Leben eingestellt“).
Ihre Augen leuchten, als sie von den Anfängen ihrer Karriere in der DDR im Ueckermünder Trainingszentrum unter Leitung des 2015 im Alter von 83 Jahren verstorbenen Günter Funke erzählt. Von „Eisenschweinen“, wie sie die 40-Kilo-Rollstühle damals nannte. Und von den ersten Trainingswochen beim Rollstuhl-Basketball, die ihr nach dem Bandscheibenvorfall, der ihre Querschnittslähmung auslöste, dabei halfen, besser mit dem schweren Alltagsbegleiter umzugehen. Damals war sie 23 Jahre alt. Sie sagt: „Schon nach acht Wochen Training habe ich gemerkt, dass ich selbstständiger geworden war. Ich konnte mir die Hose im Rollstuhl anziehen. Ich hatte kraftmäßig zugelegt.“ Der Sport habe zudem ihr Selbstvertrauen gesteigert: „Früher wurde ich manchmal als Krüppel bezeichnet. Und jetzt hatte ich was geleistet. Ich sage jedem: Treib‘ Sport. Und wenn du die Möglichkeit hast, treib‘ Leistungssport.“ Nicht nur für Buggenhagen, sondern für viele weitere Sportler begannen deren Karrieren bei Günter Funke. Er war der Volleyball-Vater Ueckermündes, brachte die Sportart in den 50er-Jahren in die Stadt. Von ihm trainierte Volleyballer gewannen sieben DDR-Meistertitel und zahlreiche Pokalsiege. Ihr Ehemann ist Hausmann und Manager.

Ueckermünde, ihre Heimat, besucht Buggenhagen immer wieder. Dabei zeigt sie sich stets als Idol zum Anfassen und Vorbild für viele. Im Jahr 2012 gab sie dem späteren und inzwischen suspendierten Ueckermünder Bürgermeister Gerd Walther (Die Linke) in einem Gespräch über Behindertensport mit auf den Weg: „Der integrative Ansatz, also das gemeinsame Um-die-Wette-kämpfen von Menschen mit und ohne Behinderung, verdient noch manche Anstrengung.“ Buggenhagen unterstützte Walther bei der der Wahl. Bei den jährlichen Integrativen Sportfesten in Ueckermünde war sie immer dann zu Gast, wenn ihr prall gefüllter Terminkalender es zuließ.
Ehemann Jörg, der ebenfalls im Rollstuhl sitzt, unterstützt seine Marianne seit Jahrzehnten: „Wir haben damals gesagt: Ich bin Hausmann, Manager und manchmal auch netter Ehemann. Die ganze Organisation. Also, wenn es jetzt auf Reisen geht oder um Termine. Die ganzen Veranstaltungen. Das habe ich alles geplant, und Marianne musste dann immer nur beim Frühstück fragen: ‚Was fällt an heute?‘ Das konnte ich ihr dann alles sagen. Und jetzt machen wir alles mehr gemeinsam und können jetzt auch jeden Urlaub gemeinsam machen.“
Buggenhagen, ausgebildete Krankenschwester, trainiert immer noch rund zehn Stunden die Woche. In ihrem Wohnort Bernau bei Berlin setzt sie sich für Barrierefreiheit ein, zudem betreut sie zwei Schulen in Berlin und Ilsenburg (Sachsen-Anhalt), die ihren Namen tragen. „Wenn ich die Kinder in meinen Schulen sehe, geht mir das Herz auf“, sagt Buggenhagen. Die Schüler haben einen Anteil daran, dass die vielseitige Athletin, die im Diskuswerfen, Kugelstoßen, Speerwerfen und im Mehrkampf Paralympics-Medaillen gewann, bis ins Alter von 63 Jahren Leistungssport betrieb. „Ich wollte ihnen möglichst lange ein Vorbild sein“, sagt sie.
Bei so vielen Aufgaben bleiben manche Hobbys auf der Strecke. Eigentlich wollte Buggenhagen nach dem Karriereende ihren Angelschein machen: „Dazu komme ich bisher aber nicht.“ Dann ergänzt sie mit einem Augenzwinkern: „Ich will auch mal hochseeangeln. Aber man sollte auch immer noch Wünsche und Träume haben, sonst bräuchte man ja nicht mehr auf der Welt zu sein.“

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